Claudia S. ist verzweifelt. Seit über einem halben Jahr sucht die 38jährige für sich und ihre fünfjährige Tochter eine kleine und bezahlbare Wohnung in Bocholt. Im Mutter-Vater-Kind-Haus der Caritas, in dem die beiden seit fünf Jahren untergebracht sind und aus dem sie seit Oktober hätten ausziehen können, wird ihre Unterkunft dringend gebraucht. Aber Claudia S. findet nichts und muss bleiben. "Das ist so frustrierend", erklärt die 38-Jährige.
Barbara Bruns, Leiterin des Mutter-Vater-Kind-Hauses erklärt, dass die Entwicklung der kleinen Familien häufig dann ausgebremst wird, wenn nach den erreichten pädagogischen Zielen im Mutter - Vater - Kind- Haus kein eigener Wohnraum gefunden wird. "Ob die Eltern sich hier oder in ihrem Heimatort eine Wohnung suchen, ist hier unerheblich. In jedem Fall erfahren sie häufig monatelang in ihren Bemühungen um Wohnungen Misserfolge. Wenn Sie nicht wissen, wo sie eine Wohnung finden werden, können auch viele weitere Schritte der Verselbständigung nicht angegangen werden", so Bruns. Eltern wie Claudia S. versuchten ihren Kindern nach dem Auszug aus der Einrichtung keinen neuen Ortswechsel zuzumuten. "Sie haben sich ein soziales Umfeld erschlossen, die Kinder gehen in die Kita und auch die Mütter oder Väter warten darauf, dass sie eine Perspektive haben, um mit ihren eigenen Zielen in Bezug auf Schule und Beruf voran zu kommen", so Bruns. Egal an welchem Ort - ohne Wohnung gelingt die Verselbstständigung nicht.
Weil aber das Budget der kleinen Familien sehr klein ist, müssen die Wohnungen günstig sein. "Die Ansprüche sind da nicht sehr hoch. Wer uns verlässt hat gezeigt, dass er sich auf realistisch wenig Fläche organisieren kann und mit seinem Geld haushalten kann". Denn Barbara Bruns Team arbeitet mit den Eltern eben auch daran, das eigene Leben mit Blick auf das Kind zu organisieren. "Sie wären also bereit. Wenn sie denn eine Wohnung hätten, in der sie es zeigen können", so Bruns.
Dass Wohnungsnot auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird, kennt auch Markus Beckmann, Leiter der ambulanten flexiblen Erziehungshilfen. Er betreut ebenfalls Familien, die Unterstützung bei der Wahrnehmung elterlicher Aufgaben benötigen. Anders als in dem stationären Mutter-Vater-Kind-Haus handelt es sich hierbei um ambulante Erziehungshilfen. Die Hilfe findet also in den Wohnungen der Familien statt. Beckmann und sein Team bekommen so immer wieder Einblick in die Wohnwirklichkeit von Familien. "Manche hocken inzwischen auf engstem Raum zusammen. Dann schlafen die Eltern nicht selten im Wohnzimmer, nur damit die Kinder mehr oder überhaupt Platz haben", berichtet er. Der wirkt sich auf die Spannungen innerhalb junger Familien wie ein Katalysator aus. "Wenn schon das Geld kaum reicht und man dann auch noch eng aufeinander hockt, knallt es irgendwann", schildert Markus Beckmann seine Beobachtungen. "Dabei wollen die Eltern für ihre Kinder gute Rahmenbedingungen. Und die Familien sind da wirklich erfinderisch und genügsam, aber auch wenn sich die Kinder ein Zimmer teilen, die Eltern den Haushalt gut organisieren, bleibt es eben doch ein Leben ohne Rückzugsmöglichkeiten. Das wünschen sich auch die von uns begleiteten Eltern anders", so Beckmann. Ändern können sie an ihrer Lage aber meist wenig, denn Wohnraum für Familien ist aktuell noch schwieriger zu finden als günstiger Wohnraum für eine Person.
Die PädagogInnen können also nur bei der schwierigen Suche begleiten, Tipps geben und motivieren. Und so gehört Wohnungssuche nun auch seit über einem halben Jahr zu Claudia S. fester Morgenroutine.
Ein Stunde am Tag durchforstet die 38-Jährige die Tageszeitung, Anzeigenblätter und Onlineportale nach kleinen Wohnungen. Findet sie einen Anbieter und schreibt ihn an, meldet der sich meist nicht einmal zurück. Zu ganzen zwei Besichtigungen wurde Claudia S. in den vergangenen sechs Monaten eingeladen. "Das ist schon sehr bitter", kommentiert Erzieherin Andrea Telaar, die die Mutter und ihre Tochter betreut.
Mehr noch als das Gefühl, nirgendwo einen Platz zu finden und erwünscht zu sein, frustriert Claudia S. das Wissen, einen Platz zu blockieren, auf den andere Väter oder Mütter warten. "Das alles ist wie ein Rattenschwanz", meint die 38-Jährige. "Es wäre schön, wenn Claudias Erfolge bei uns endlich dazu führen, dass sie nun auf eigenen Beinen ihren Weg gehen kann", hofft Einrichtungsleiterin Barbara Bruns mit ihrem Team. Vor allem für die Kinder ist es wichtig, dass sie ein normales Wohnumfeld haben, um aufzuwachsen. Die Mütter und Väter, die in der Einrichtung gelernt haben, auf die Bedürfnissen ihrer Kinder einzugehen, müssen das auch in einem normalen Wohnumfeld tun können. Der Lebensraum des Mutter-Vater-Kind-Hauses ist eben auf eine Unterbringung auf Zeit ausgelegt. "Wir sind der Lernraum, in dem sich Mütter und Väter entwickeln, um dann die nächsten Schritte eigenständig zu gehen", erläutert Barbara Bruns. Claudia S. ist mit ihrer Suche kein Einzelfall. Aktuell unterstützen dieTeams 4 Mütter und Väter bei der Wohnungssuche in unterschiedlichen Städten. Für die Familien, die in Bocholt bleiben wollen, hoffen die Caritas Mitarbeitenden auf Unterstützung aus der Bevölkerung. Vor allem mit Blick auf die betroffenen Kinder wünschen sich die Mitarbeitenden, dass sich schnell passender Wohnraum findet. Vermieter von passenden Wohnungen können sich gern direkt bei Barbara Bruns melden. Barbara.bruns@caritas-bocholt.de, 02871 2450210.